Teams sind out – Es leben die Ensembles

Prof. Dr. Wolfgang Mühl-Benninghaus

Organisation und Theater

Theater ist eine Form sozialer Kommunikation. Dessen Spezifik ist die ostentative Präsentation von Körper und Sprache im Handlungsverlauf. Es ist also stets mit dem Ausstellen kreativer menschlicher Fähigkeiten verbunden, etwa in Form von Demonstrationen physischer Geschicklichkeiten, kluger Gestaltung, zeitlicher Abfolgen, der Rhythmisierung von Tätigkeiten und dem Schaffen spezifischer Räume. Im Zusammenspiel dieser Elemente entstehen jeweils eigene physische und psychische Beziehungen zwischen den Handelnden und ihren Betrachtern. Dies gilt für den einzelnen Akteur ebenso wie in komplexen Aufführungen, in dem mehrere Körper für die Herstellung von Darstellungen notwendig sind. Die symbolischen Formen des Theaters sind ebenso wie andere kommunikative Formen bewusst oder unbewusst an Öffentlichkeiten gerichtet. Diese Charakteristika des Theaters hat es mit allen Organisationen gemein. In ihnen bilden unterschiedliche Beziehungsstrukturen die Voraussetzung für das Entstehen bestimmter sozialer Interaktionen. Diese bilden ihrerseits stets die Voraussetzung zum Lösen der Arbeitsaufgaben.

In den verschiedenen unmittelbaren Kommunikationssituationen präsentiert sich einerseits das Selbst als Ich(selves). Dabei generiert es sich selbst darstellend in Rollen, die sich aus den unterschiedlichen Konstruktionen, in denen das Ich agiert, ergeben. Diese erzeugen ihrerseits verschiedenste Wirklichkeiten. Anderseits nimmt das Ich in der Regel mit seinem bewussten oder unbewussten Rollenspiel stets Bezug auf die Werte und Kontexte der es umgebenden Verwandten, Freunde, Mitarbeiter oder der gesamten Organisation. Der in diesen Kontexten gepflegte orale Verkehr ermöglicht keine Fixierung des je Gesagten oder Dargestellten. Die hier genutzte Sprache ist nicht auf Wahrheit ausgelegt, sondern Mittel eines unerschöpflichen Experimentierens mit möglicherweise neuen Effekten, die ihrerseits neue Adressaten schaffen. Insofern schaffen das Gesagte und das Dargestellte permanent etwas Neues, weil sich im kommunikativen Akt seine Teilnehmer kontinuierlich modifiziert an den oralen Kommunikationen selbst bzw. an den Dingen abarbeiten. In der Oralität lässt sich nichts über das je Gesagte bzw. das Dargestellte hinaus fixieren. Die vermittelten Inhalte prägen wesentlich die Haltung des Ichs zur Welt. Es formt dessen Wahrnehmen und so auch das Konstruieren der Dinge, das Welt-Bild generell oder umgekehrt sowie überdies das praktische Verhalten. In all diesen Darstellungs- und Kommunikationsstrukturen manifestieren sich grundlegende Haltungen sowie Ansichten und Wahrnehmungen von Welt. Im Darstellungsereignis aktivieren die teilnehmenden Körper ihre verschiedensten Ausdrucksmöglichkeiten gemäß der jeweiligen Situation, also nach praktischen Gesichtspunkten und Interessen. Wahrnehmen ist demnach immer ein sozio-kultureller Vorgang, der Veränderungen unterliegt, wenn Situationen sich ändern oder die Beteiligten einzeln oder in Gruppen neue und/oder unterschiedlicher Erfahrungen sammeln. Es ist also insgesamt ein komplexes vieldimensionales Bündel von Determinanten in denen mündliche und körperliche Kommunikationsstrukturen eine entscheidende Rolle spielen. Die dargestellten Zusammenhänge verdeutlichen, dass sich in den alltäglichen Praktiken sozialer Kommunikation unablässig theatralische Kommunikationsformen finden lassen. Insofern sind die Übergänge stets fließend.

Das Anerkennen von Rollen und damit von Ensembles als kommunikative Basisstruktur in Organisationen bedeutet einen erhöhten Kommunikationsaufwand, der nur in kleineren Gruppen funktionieren kann. Größere Organisationseinheiten müssen diese netzwerkartig mittels verschiedener Knoten oder Schaltstellen miteinander in Verbindung bringen. Um hier die spezifischen Aufgaben möglichst effektiv zu verteilen, sind selbstverständlich die Stärken und Schwächen der jeweiligen Ensembles zu berücksichtigen. Dieses Verfahren bildet die Voraussetzung für eine erfolgreiche Gestaltung des gesamten internen und externen Kommunikationsprozesses von Unternehmen. Insbesondere auf dem Gebiet der Informations- und Entscheidungssysteme sowie im gesamten Bereich kreativer Tätigkeiten mit ihrem hohen Anteilen an hochqualifizierten Mitarbeitern ist die Berücksichtigung das dem künstlerischen theatralen Raum entlehnte Rollenkonzept impliziert dem einzelnen ein hohes Maß an individueller Freiheit zu zugestehen. Die damit einhergehende Verbindung von individuellen und organisationalen kommunikativen Ebenen haben grundlegende Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg, weil sie inspirierend sind und damit die individuellen Möglichkeiten des Einzelnen fruchtbar machen.

Die Zeit der Produktion des immer gleichen ist lange vorbei. An dessen Stelle sind Prototypen getreten, die permanent weiterentwickelt werden. Digitale Informationen und von ihnen gesteuerte Prozesse machen auch die alltäglichen Gebrauchsgegenstände und Apparate nicht nur komplizierter, vielfach geht mit ihrem Einsatz auch der konkret sinnliche Kontakt zu den Gegenständen verloren. Die dabei immer wieder zum Tragen kommende Codierung und Decodierung eröffnen ständig neue Möglichkeiten der Produktion, der Distribution und des Konsums. Die stete Suche nach Neuem hat die verstärkte Hinwendung zu Präferenzen, zum Punktuellen und damit zur Erzeugung von Singularitäten zur Folge. Es wurde bereits deutlich, dass es im Ergebnis zu Veränderungen in den Strukturen des Zusammenlebens, des Wahrnehmens und des Handels kommt, in denen auch die Sicherheiten vergangener Jahrzehnte mehr und mehr verschwinden. Die Folge sind Mehrdeutigkeiten von Zielen und Ergebnissen sowie eine differenziertere Beurteilung von Geschehnissen. Zu dem gewinnen Erfahrungen aus zweiter Hand, etwa über Medien, weiterhin an Bedeutung für den Einzelnen. In diesen nicht enden wollenden Prozessen kommt der Kommunikation eine entscheidende Funktion zu. Mit ihrer Hilfe entstehen permanent neue Sichten und Einsichten, die ihrerseits immer wieder neue Wirklichkeiten konstruieren. Dies intendiert, dass die sinnlichen Koordinaten für die sozialen Unterschiede in der Vergangenheit, die durch deutliche für jedermann nachvollziehbare Faktoren, wie Essen und Trinken, Kleidung oder Besitz erkennbar waren, heute an Bedeutung verloren haben. Stattdessen gewinnen nicht sinnlich fassbare Faktoren an Bedeutung, so etwa wenn Mitarbeiter von Organisationen sich statt real zu treffen, sich über Medien zusammenschließen.       

Im Ergebnis der zunehmenden Digitalisierung verweben sich zwei unterschiedliche Realitäten: Auf der einen Seite die Binärcodes. Sie bilden in der Regel die Basis für die Verarbeitung digitaler Informationen, die die Grundlage für das Funktionieren von Computern bilden. Viele Binärcode-Arten sind darüber hinaus mit der Entwicklung der Informationstechnik entstanden und sind nicht zuletzt Synonyme für Maschinencodes,-programme oder -sprache. Binäre Codes sind zudem Bestandteil in immer wieder von auch im Alltag genutzten Antagonismen wie statisch – dynamisch, schwarz – weiß, Kontinuität – Wechsel oder Synchron – Asynchron/Diachron. Ihnen haftet stets etwas zeitloses, fixes und damit unveränderliches an. Auf der anderen Seite steht die Anthropologie der Erfahrung. Sie besagt, dass stetig neue Wahrnehmungen, Kenntnissen oder Beobachtungen usw. auf das Ich, Gruppen, Organisationen und nicht zuletzt Kulturen einwirken und zu veränderten Interpretationen von Wirklichkeiten führen. Abhängig von deren Größe und historischen Koordinaten unterliegen sie alle in ihrem Verhalten den situativen Umständen. Die Art und Weise, die Orte, die Gegebenheiten und die Relationen, unter denen sie agieren, konstruieren die Besonderheiten des jeweiligen Augenblicks. Authentizität entsteht in diesen Kontexten durch den dem Augenblick entsprechendes bewusstes Wahrnehmen und Einnehmen von außen erwartbaren Rollen. Auf das Ich bezogen meint dies, dass mein Verhalten in der jeweiligen Situation der Rolle entspricht, die unter den gegebenen Umständen von mir vom Kollegen, Partner, Freund, Kunden, Arbeitgeber etc. erwartet werden.

Der Einzelne wie auch Organisationen leben also in einer Vielzahl an Erlebnis- und Erfahrungsräumen. Deren Größe steht in einem direkten Verhältnis zu der Anzahl an Persönlichkeiten die erstere ausbilden. Wenn der Einzelne über mehrere Rollen und damit verbundene Fähigkeiten verfügt, so hat er auch mehre Möglichkeiten, wie er mit bestimmten Situationen oder Personen umgehen kann. Diese Tatsache bzw. Fähigkeit impliziert für den Einzelnen die Notwendigkeit, zwischen verschiedenen Personen, die jeweils in ihren eigenen Welten leben, möglichst schnell hin und her schalten, um sich auf das Gegenüber optimal einstellen zu können. In den globalen Strukturen der Gegenwart betrifft dies für den Einzelnen die Spannweite von Partner und Elternteil über den Freund und Kollegen von nebenan bis zu Kollegen oder Kunden in Übersee. Für Organisationen betrifft dies etwa die Mitarbeiter, die Stake- und die Shareholder.

Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, verlieren im Zuge der Digitalisierung Orte, Räume oder andere zusätzliche Informationen ihre ehemalige Signifikanz. Stattdessen gewinnt im Kontakt die Konzentration auf die von äußeren Gegebenheiten unabhängige Information stetig an Bedeutung. Durch das Verschmelzen von Arbeit- und Freizeit sowie das intuitive Verhalten auf stets wechselnde Anforderungen werden die eigenen Wertekategorien erkennbar, die mit dem Umfeld ununterbrochen abzustimmen sind. Die eigene Identität und implizit damit auch die Fähigkeit zum Selfmanagement werden in dem Maße übermittelt, wie die verschiedenen Kommunikationskanäle genutzt werden. Entfernt sich der Kommunikator zu weit von seiner Rolle – etwa innerhalb einer Organisation -, läuft er Gefahr, an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Jobverlust, Ausgrenzung oder Marginalisierung können in Organisationen die Folge sein. Da Menschen sind, wie sie kommunizieren, lassen sich im persönlichen Umfeld vergleichbare Reaktionen beobachten. 

Eine Hauptaufgabe des Managements besteht im digitalen Zeitalter demnach darin sicher zu stellen, dass alle Akteure als Ensemble optimal zusammen agieren. Dies bedeutet nicht die Unterstützung von Gruppendenken oder Konformitäten. Vielmehr bedarf es der Förderung von individueller Verantwortung, Integrität und authentischem Handeln eines jeden Einzelnen. Damit stellen sich Herausforderungen an neue Methoden der Performance-Messungen und Monitoring-Aktivitäten, wie sie etwa mit Hilfe des LeistungsKompass (LeistungsKompass.de), mit dessen Hilfe kontinuierlich die verschiedensten Aktivitäten in Organisationen gemessen und Angebote zur Verbesserung erarbeitet werden können. Das Übernehmen von Individueller Verantwortung ist eine wesentliche Basis für kreatives Handeln. Zumindest letzteres ist immer mit Abweichen von bestehenden Normen verbunden und bedeutet oftmals die Überwindung bestehender wie auch immer gearteter Schranken. Das kann auch zu Fehltritten führen. Von daher steht das Management stets auch vor dem Problem des Umgangs mit Fehlleistungen oder Denkfehlern. Damit stellt sich stets die Frage nach Vertrauenskultur innerhalb der jeweiligen Organisation.